Alligatoah wagt kompletten Stilbruch – "positive Kommentare nerven mich"

Genau zwei Jahre nach "Rotz und Wasser" veröffentlicht Alligatoah sein neues Album "Off".

"Gern geschehen – Alligatoah 1989-2023": So gab einer der erfolgreichsten Rapper Deutschlands noch im November 2023 sein Karriereende bekannt – oder sogar seinen Tod? Alles war still, sein Instagram-Feed gelöscht. Dann plötzlich: neue Musik, neuer Stil. Mit seinem Album "Off", das am 22. März erscheint, steigt der Musiker plötzlich auf Metal um. Ein harter Bruch, der nicht nur positiv aufgenommen wird.

Gegenüber watson stellt sich Alligatoah freundlich als Lukas vor. Entspannt und mit einem Glas Wasser sitzt er am Tisch und beginnt zu plaudern.

watson: Wieso musstest du für dein neues Album sterben?

Alligatoah: Ich hatte vor zehn Jahren in einem Musikvideo meinen Tod für 2023 angekündigt. Jetzt war 2023. Ich hatte ein fertiges Metal-Album und deswegen war klar, dass ich irgendwas damit machen musste. Der Ball lag so nah vorm leeren Tor, dass man dagegen treten musste. Außerdem brauchte ich die Inszenierung, um einen klaren Cut zu ziehen, denn genau das ist es ja.

"Langjährige Fans schätzen mich dafür, dass mir ihre Gefühle egal sind."

Nicht nur dein Ende war vorgetäuscht: Nach der ersten Single "So raus", aufgenommen mit Limp-Bizkit-Star Fred Durst, hast du weitere Metal-Ikonen wie Linkin Park oder Slipknot als Gäste angedeutet. Das blieb unerfüllt. Was treibst du da für Spielchen mit deinen Fans?

Ich habe ein Faible dafür, mit den Emotionen meiner Fans zu spielen und sie auf falsche Fährten zu locken. Langjährige Fans schätzen mich, glaube ich, aber auch dafür, dass mir ihre Gefühle ein bisschen egal sind, wenn es darum geht, eine gute Geschichte zu erzählen.

Warum jetzt plötzlich Metal?

Ich denke, es hat sich durch mein Auftauchen auf dem Wacken vor zwei Jahren schon angekündigt. Aber eigentlich war es sogar schon klar, als ich mich mit 14 Jahren in diese Musik verknallt hab. Mein erstes Album, das ich mir jemals gekauft habe, war "Proud like a God" von den Guano Apes, und dann ging es von Limp Bizkit und Linkin Park bis hin zu Slipknot, Korn oder Deftones. Ich hab in all diesen Bands meine Wohlfühl-Zone gefunden. Sie haben mir einen Safespace gegeben, wo auch die düsteren Gefühle ihren Raum hatten. Das hat mir wiederum positive Gefühle gegeben.

Erstes Lebenszeichen nach dem Aus: "So raus" mit Limp-Bizkit-Sänger Fred Durst., Video: YouTube/Alligatoah

Du hast vorhin von einem Cut gesprochen. Das klingt, als wäre "Off" kein Ausnahme-Album. Ist der Stilbruch endgültig?

Ich denke selten weiter als bis zu dem Album, das ich gerade mache. Und soweit ich weiß, ist das jetzt mein neuer Sound. Aber was weiß ich schon?

"Mich nervt es, nur positive Kommentare zu lesen."

Das stößt aber auch auf Gegenwind. Als die ersten Metal-Festivals dich für dieses Jahr ankündigten, gab es neben Vorfreude auch viele Hate-Kommentare. Wie gehst du damit um?

Hate ist für mich ein Indikator dafür, dass ich endlich auch wieder Bubbles erreiche, die ich vorher nicht erreicht habe. Das ist für mich ein gutes Zeichen, weil ich dort in der Lage bin, den Leuten noch auf den Schlips zu treten und sie aus ihrer Komfortzone rauszukitzeln. Genau da will ich hin. Es nervt mich, nur positive Kommentare zu lesen, weil ich dann das Gefühl habe, nur Menschen zu erreichen, die es eh gut finden. Sowas ist schön und gut, aber ich bin auch angetreten, um Kontroversen auszulösen und das schafft man nur, wenn es auch Hate gibt.

Dennoch war es bezeichnend, dass sich der meiste Hate bei den Metal-Festivals fand, denn gerade diese Szene wird zumeist als tolerant und offen angesehen. Hat das dein Bild von der Metal-Szene verändert?

Nein, weil ich mein Bild von etwas nicht davon abhängig mache, was Menschen in eine Kommentarspalte im Internet schreiben. Was im Internet steht, nehme ich relativ analytisch wahr, und mit einer Distanz, als hätte das gar nichts mit mir zu tun. Das mag kalt und abgebrüht klingen, aber für mich ist das Internet ein Spielplatz, der nichts mit der echten Welt zu tun hat. Was für mich am Ende zählt, ist vielmehr, was vor Ort passiert. Denn auch beim Wacken wurde zuvor kontrovers diskutiert, und was ich dann gesehen hab, war, dass der Bereich vor der Bühne komplett voll mit ausrastenden Menschen war.

"Meistens weiß ich, was es auslösen könnte und überlasse es dem Diskussions-Moshpit im Internet, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen."

"Das geht dich einen Scheißdreck an." So singst du in einem deiner neuen Tracks darüber, nichts von dir preisgeben zu wollen. Dabei wimmelt es in deinen Texten von Andeutungen – auch über dich. Versteckst du dort Wahrheiten über deine Person, oder ist Alligatoah eine reine Kunstfigur?

Ich platziere keine bewussten Hinweise in meinen Songs, die – wenn man das Puzzle zusammensetzt – meine Persönlichkeit ergeben. Aber ich glaube, dass meine Persönlichkeit, ohne dass ich es will oder steuern könnte, natürlich da irgendwo drinsteckt. Ich bin mir auch bewusst, dass die Leute sehr genau beobachten, was ich mache und manchmal lerne ich dadurch sogar Dinge über meine Musik, die ich selbst nicht wusste oder beabsichtigt habe. Meistens weiß ich aber natürlich, was es auslösen könnte und überlasse es dann dem Diskussions-Moshpit im Internet, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.

Alligatoah auf der Bühne: Seiner Live-Performance sind die Metal-Einflüsse schon seit Längerem anzumerken.

Etwas konkreter: In dem neuen Song "Niemand" zeigst du dich als klaren Atheisten. Religion hast du schon öfter kritisch beleuchtet. Ist das Ironie oder dein echtes Ich?

Es ist weder reine Ironie noch meine Persönlichkeit. Ich kann das ziemlich klar sagen: Ich bin kein religiöser oder gläubiger Mensch. Ich bin auf der anderen Seite aber auch niemand, der den Glauben verteufelt oder ablehnt. In dem Song wirkt das vielleicht so. Ich persönlich habe aber vielmehr Respekt vor Leuten, die glauben können und bin manchmal auch fast neidisch auf sie, weil sie all die offenen Fragen rund um die Menschen für sich klären können und dadurch Halt finden. Das ist was Wunderschönes und das will ich niemandem absprechen. Ich selbst habe das aber nicht in meinem Skillset, und das ist auch okay. Bei "Niemand" fand ich aber einfach nur den Gedanken spannend, dass es viele Leute gibt, die mit stolzgeschwellter Brust ihre Religion nach außen tragen, aber es gibt wenige, die mit stolzgeschwellter Brust ihre Nicht-Religion nach außen tragen. Das hat mich inspiriert.

"Ich hantiere nur nach meinen eigenen Regeln. Das gibt mir die Freiheit, morgens aufzuwachen und meine Karriere zu beenden."

Gibt es auch Momente, in denen dich nichts inspiriert? Kennst du sowas wie Flauten?

Selten, und selbst wenn: Komme ich mal an einer musikalischen Baustelle nicht weiter, setze ich mich einfach ans Konzept fürs nächste Musikvideo oder denke mir ein Artwork aus. Ich hab ja immer was zu tun. Flauten sind, wenn sie mal da sind, eher etwas, das ich genieße, weil ich weiß: Der Moment, wo ich wieder schweißgebadet aufwache, weil mir was eingefallen ist, das ich unbedingt sofort umsetzen muss, der wird kommen.

Siehst du dich selbst als Genie?

Auf gar keinen Fall. Das wäre ja so, als würde jemand, der einen Zaubertrick vorführt und Leute damit beeindruckt, selbst fasziniert davon sein. Das wäre ja vermessen, weil der den Trick doch kennt. Ich kenne meinen Trick und mein Handwerk einfach zu gut, um mich selbst zu beeindrucken und das mit so einem Wort belegen zu können.

Einer dieser Tricks war dein Karriereende, über das wir schon gesprochen haben. Mit dem neuen Album ist das Thema erstmal vom Tisch. Hast du dennoch schon mal ernsthaft darüber nachgedacht?

Das Schöne an meinem Schaffen ist ja: Ich hantiere nur nach meinen eigenen Regeln. Das gibt mir die Freiheit, morgens aufzuwachen und meine Karriere zu beenden und sie am Abend wieder anzufangen. Ich glaube, Alligatoah-Fans wissen, dass sie auf alles gefasst sein müssen. Und wenn sie das nicht sind, dann sind sie selber schuld.