Alkohol, Pillen, Glücksspiel: Wo Kinder suchtkranker Eltern Hilfe finden

Für Kinder ist das Aufwachsen in einer suchtbelasteten Familie oft schwer.

"Das ist ein Leidensdruck, der sich oft jahrelang potenziert", sagt Mia Marianne Drost. Sie arbeitet bei dem Verein Nacoa Deutschland, der sich für Kinder aus suchtbelasteten Familien starkmacht. Nacoa ist eine Anlaufstelle, bei der Kinder Hilfe finden. Und nicht nur, wenn sie nach dem Gesetz als Kinder gelten, sondern auch erwachsene Kinder, wie Mia sie nennt.

"Kinder fühlen sich immer verantwortlich für das, was mit ihren Eltern passiert"
\- Mia Marianne Drost -

Denn meist werde die Beratung von Menschen aufgesucht, die sich in einer Umbruchphase befinden. Die sich gerade auf dem Weg ins Erwachsenenleben befinden, oder bereits angekommen sind. Nacoa Deutschland will ein niedrigschwelliges Angebot sein, eine Anlaufstelle, für Menschen mit Problemen.

Alkohol ist das größte Problem, die größte Sucht. Die meisten Kinder aus suchtbelasteten Familien stammen aus Alkoholiker:innen-Haushalten. Von 2,65 Millionen betroffenen Kindern werde in dieser Gruppe ausgegangen. Die Dunkelziffer hoch. Und auch Kinder, deren Eltern ein riskantes Trinkverhalten hätten, fielen in diese Statistik nicht mit hinein.

Aber wo genau finden diese Kinder, ob Erwachsen oder nicht, Hilfe? Was können Außenstehende tun? Die wichtigsten Fragen klärt watson für euch.

Welche Hilfsangebote gibt es?

Der erste Schritt, erklärt Mia, ist oft die Online-Beratung. Nacoa Deutschland bietet gemeinsam mit KidKit etwa das Angebot "Hilfen im Netz" für Kinder suchtkranker und psychisch kranker Eltern an. Dort finden Betroffene Ansprechpartner:innen und Wege in die passende Hilfe – auch wenn es in der Familie Gewalt oder sogar sexuelle Gewalt gibt.

Kinder aus suchtkranken Familien haben ein höheres Risiko, selbst eine Abhängigkeit zu entwickeln.

Die meisten finden diese Anlaufstellen durch eigene Internet-Recherchen, sagt Mia. Nacoa lege aber auch gemeinsam mit anderen Angeboten Flyer aus – und zwar dort, wo junge Menschen eben sind. In der Schule, in der Vereinssporthalle, im Jugendclub.

"Kinderschutz geht alle an, deshalb sollten auch alle einen Blick dafür haben"
\- Katharina Spatola -

Hilfe suchten am häufigsten Menschen, die sich am Übergang zwischen Jugend und Erwachsensein befänden, meint Mia. "Da ist dann oft eher der Mut da, nach außen zu gehen und das unausgesprochene oder ausgesprochene Schweigeverbot zu brechen", führt Mia weiter aus. Das Thema sei nach wie vor schambesetzt. "Das hat auch mit Schuld zu tun, Kinder fühlen sich immer verantwortlich für das, was mit ihren Eltern passiert", sagt die Traumapädagogin.

Dass viele erst so spät in die Beratung kämen, habe eben auch mit dem Stigma zu tun. Suchterkrankungen gelten bis heute oftmals als menschliches Versagen, obwohl es sich um psychische Erkrankungen handelt.Oft bräuchten betroffene Kinder erst einmal den Abstand, um wirklich zu erkennen, was zu Hause falsch läuft. Oder sie erleben bei Freund:innen, dass es in deren Familien anders abläuft.

Neben den Online-Beratungen gibt es aber auch Selbsthilfegruppen, auch schon für Kinder. Dort bekommen sie die Möglichkeit, sich mit betroffenen Gleichaltrigen auszutauschen. Es sei wichtig, dass sie erkennen, sie sind nicht alleine damit, meint Katharina Spatola, die ebenfalls bei Nacoa arbeitet.

Bislang gebe es aus Sicht der Expert:innen zu wenige Angebote für erwachsene Kinder, denn auch für sie sei der Umgang mit ihrer Familie oder dem suchterkrankten Elternteil nicht leicht. Manche würden sich komplett abnabeln von ihrem Elternhaus, andere seien auf der Suche nach Strategien, wie sie Grenzen setzen könnten.

"Oft wird Angehörigen auch eine Verantwortung zugeschoben, die dort nicht hingehört. In Familien gibt es verschiedene Mechanismen. Jemandem zu vermitteln, an der Sucht schuld zu sein, weil er zum Beispiel seinem Vater 50 Euro leiht, geht gar nicht", stellt Mia klar.

Was können Außenstehende tun?

Es sei generell wichtig, das Elternhaus gegenüber Betroffenen nicht zu stark zu kritisieren oder gar abzulehnen. Vielmehr gehe es im ersten Schritt darum, da zu sein und zuzuhören. "Das Thema ist schambehaftet, das heißt auch, dass sich die Kinder und Jugendlichen in einem Loyalitätskonflikt befinden", sagt Mia. Manchmal brauche es Zeit, sich zu öffnen.Daher sei es umso wichtiger, dass auch stigmafreie Räume eröffnet würden, in denen die Kinder einfach Kind sein dürfen.

Kinder aus suchtbelasteten Familien brauchen angstfreie Räume, in denen sie frei sein können.

Auch Katharina appelliert, die Eltern nicht zu verurteilen. Viel wichtiger sei es, ihnen zu zeigen, dass man sie sieht. Und das ihre Gefühle ernst genommen werden. Denn "Kinder können zum Teil Dinge nicht einordnen, die sehen, das ist anders als in anderen Familien oder ich fühle mich nicht gut", was sie dann gar nicht gebrauchen können, ist, dass jemand von außen das Problem auch noch negativ bewertet.

Durch eine zu frühe direkte Ansprache könnten außerdem Probleme im Inneren des Kindes geöffnet werden, die vielleicht noch nicht geöffnet werden sollen. Dann kann schnell passieren, dass das Kind in eine Abwehrhaltung geht und den Elternteil beschützt. Es handele sich aber auch immer um eine Gratwanderung: Wann ist der Punkt erreicht, an dem Hilfsmechanismen greifen müssen?"Kinderschutz geht alle an, deshalb sollten auch alle einen Blick dafür haben", sagt Katharina.

Wenn man ein mulmiges Gefühl hat, kann man den Betroffenen Hilfe anbieten. Manchmal wissen Menschen gar nicht, dass es solche Hilfsangebote gibt, meint Katharina.

Welche Anzeichen gibt es?

Wie aber erkennt man, ob ein Kind Hilfe braucht? Da gibt es laut den Expert:innen keine allgemeingültige Check-Liste.Kinder aus suchtbelasteten Familien könnten destruktiv sein, wütend, verhaltensauffällig, traurig oder auch besonders zielstrebig und verantwortungsbewusst. Von Rollenmustern wie dem Helden oder dem Clown hält Katharina nichts.

Viele Kinder mit suchtkranken Eltern müssen sehr früh in ihrem Leben Verantwortung übernehmen.

Sie würden den Kindern mit all ihren Belangen nicht gerecht. Hinzukomme, dass Menschen in unterschiedlichen Gruppen unterschiedliche Rollen annehmen können. Trotzdem stellt sie klar: Natürlich stammt nicht jedes Überfliegerkind, nicht jeder Klassenclown und nicht alle schüchternen Schüler:innen aus suchtbelasteten Familien.

Solche Verhaltensmuster können trotzdem erste Anzeichen sein. Für das Umfeld, Mitschüler:innen und Lehrer:innen bedeutet das: aufmerksam sein, zuhören und Hilfe anbieten.