Narzissten: Wie ich gelernt habe, mit ihnen umzugehen

Ich bin der Schönste, Beste, Schlauste – denken zumindest Narzisst:innen oft von sich.

Um mich herum waren lange Zeit gefühlt ausschließlich Narzisst:innen. Immer fragte ich mich: Warum ziehe ich die so magisch an? Und warum suche ich – bewusst oder unbewusst – den Kontakt zu ihnen?

Um es gleich mal auf den Punkt zu bringen: Ich bin verdammt knapp an einer narzisstischen Störung vorbeigeschrammt. Ich hatte lange Jahre lang eine Art mentales Branding im Kopf, das mein Großvater mir eingebrannt hat. Ich erinnere mich, dass er mir schon als kleiner Junge immer und immer wieder sagte: "Wenn du erfolgreich bist, wenn du der Held bist, wenn du gut aussiehst, wenn du scheinst, wirst du geliebt. Wenn nicht, bist du in der Gesellschaft nichts wert." Ich habe das natürlich zunächst nicht verstanden, aber über die Jahre hinweg bekam ich mehr und mehr ein Gefühl dafür, was das zu bedeuten hatte.

Weit bis in meine zwanziger hinein tat ich alles, um der Held zu sein. Ich gab einfach alles im Job, war einer der jüngsten und erfolgreichsten Radiomoderatoren ever, hatte massenhaft Freunde, lief beinahe jeden Tag zehn Kilometer, ging ins Fitnessstudio, und war nach außen der selbstbewussteste Mensch der Welt.

Ich tat viel dafür, diese schillernde Fassade aufrechtzuerhalten, mir ging es immer super, auch wenn ich Ängste und Sorgen hatte. Der Schein musste aufrecht gehalten werden. Hatten Menschen Sorge um mich, äußerten sie das, nahm ich das als Kritik wahr und macht mich charmant aus dem Staub. Darauf hatte ich keinen Bock. Mehr und mehr merkte ich aber: Irgendwas stimmt nicht mit mir. Mehr und mehr war ich von meinem eigenen Verhalten genervt, von dieser Rolle, die ich spielte.

Die Telefonsex-Studentin deckte meinen Narzissmus auf

Ich stellte zu dieser Zeit fest, dass ich fast ausschließlich von Menschen umgeben war, die so tickten wie ich, und schlimmer.Frauen wie Männer, die immer die ganz große Bühne brauchten, auch im Alltag. Die sich selbst einfach nur geil fanden, schön, unfehlbar. Die keine Kritik duldeten, die andere abwerteten, die keinerlei Empathie kannten, die den ständigen Applaus brauchten, wie die Luft zum Atmen. Eine toxische Bubble von Narzisst:innen, die sich alle gegenseitig feierten.

Bitte lächeln: Narzisst:innen brauchen die große Bühne.

Und ebenfalls zu dieser Zeit war ich der Nachtmoderator bei Radio Salü, meiner ersten Radiostation. Der Sender war neu, klang sehr amerikanisch, die Moderator:innen waren Stars. Nach der Sendung warteten teilweise Groupies, bis wir Mikrofonkünstler:innen aus der Sendung kamen. Es spielten sich Szenen wie bei Justin Timberlake ab, auch vor meiner privaten Wohnungstüre. Als Nachtmoderator nahm ich immer wieder Hörer:innen on air, die mir ihre Geschichte erzählten. Sie sprachen über ihre Beziehungen, über ihre Probleme, oder einfach nur über das, was sie bewegte.

"Sie sagte genau den Satz, den ich hören wollte: 'Ich bin in deine Stimme verliebt.'"

Dann rief Bine an. Sie wollte gar nicht live in die Sendung, sie wollte nur mit mir quatschen. Auffällig war, dass sie eine extrem tolle Stimme hatte. Und sich verdammt gut ausdrücken konnte. Bis heute bin ich ein Stimmen-Junkie geblieben, und ich finde es wirklich sexy, wenn jemand mit Sprache umgehen kann.

Bine kam sehr schnell zur Sache. Sie studierte Philosophie und Psychologie, und finanzierte sich ihr Studium durch ihre Arbeit bei einer Sex-Hotline. Sie wollte mich gerne privat kennenlernen, und zwar zügig. Regel Nummer eins unter allen Radiomoderator:nnen lautete damals wie heute: Treffe dich nie privat mit Hörer:nnen. Nie. Die Versuchung war zu groß. Bines Background war einfach zu gut. Und außerdem sagte sie genau den Satz, den ich hören wollte: "Ich bin in deine Stimme verliebt." In dieser Nacht hatte ich null Ahnung, dass ausgerechnet die Sex-Telefonistin meine Rettung vor dem Narzissmus sein würde.

So oder so ähnlich hat das Picknick-Date unseres watson-Autors vermutlich ausgesehen.

Grenzen setzen: Wie du am besten mit Narzissten umgehst

Wir trafen uns am nächsten Morgen zum Picknick am Fluss. Das war das Gute an unseren Jobs, wir hatten den Tag über frei. Ich hatte eingekauft, alles aufgebaut, die Decke ausgebreitet, ich kannte mich mit Dates aus. Immer wieder hämmerte mir die Regel für Moderator:nnen ins Hirn: Triff dich nie...!!! Unsere Stimmen fanden wir beide gegenseitig wohl ganz reizend, augenscheinlich wusste sie genau, was sie wollte, aus dem Telefonat war klar zu hören: Diese Frau war Feminismus pur, und genau das machte sie nur reizvoller. Und wie es so ist, bei einem Blind-Date, es spielt Angst mit. Zerplatzt einfach alles, wenn man sich sieht? Das Bild, das man im Kopf zeichnet, wird es einfach wild zerstört?

Als Bine über die Wiese auf mich zu schlenderte, wusste ich, dass es nur Bine sein konnte. Das Bild, das ich in meinem Kopf gemalt hatte, war okay, aber die Realität war besser. Wir umarmten uns, und es duftete alles nach Respekt. Respekt voreinander. Augenhöhe, Wirklichkeit, Nahbarkeit, ohne Tabus. Vom ersten Moment an. Wir redeten über Stunden, und es war das erste Gespräch seit ich denken konnte, das so offen und nah war. Gegen Ende schaute sie mich lange an und sagte: "Du bist nice, ich mag dich, sehr sogar. Aber du bist ein beschissener Narzisst. Keine Sorge, ich bin es auch, aber ich krieg das gerade in den Griff. Nur kann ich dich dann einfach gerade nicht gebrauchen. Sorry."

Sie packte zusammen, ich kam ins Grübeln. Ich wollte auf keinen Fall, dass sie ging. "Ähm, kannst du noch ein bisschen bleiben? Ich würde gerne mehr über Narzissmus wissen. Und warum du mich als einen solchen bezeichnest." Sie blieb noch ein bisschen. Sie packte ihr ganzes Wissen aus dem Psychologie-Studium aus, knallte es mir an den Kopf, und ging dann. Sie setzte eine klare Grenze. Sie wollte mit mir nichts weiter zu tun haben. Mir tat es übel weh, einige Zeit später wurde mir klar: Sie tat damals genau das Richtige. Für sich selbst, und auch für mich. Ich habe Bine nie wieder gesehen. Hoffe aber so sehr, dass sie ihren Narzissmus besiegt hat.

Den Hunger von Narzissten nach Applaus nicht füttern

Dieses Picknick hat damals alles verändert. Bine war in der Tat Narzissmus pur, sie schillerte, sie liebte den Applaus, den sie sich an der Sex-Hotline Tag für Tag abholte. Sie duldete kaum Kritik, und wertete unter anderem mich stark ab. Seither kann ich Narzisst:innen riechen, wenn sie mit mir in einem Raum sind. Und anders als früher meide ich sie. Muss ich mich mit ihnen beschäftigen, weil es zum Beispiel der Beruf verlangt, setzte ich sehr klare Grenzen.

So wie Bine es damals bei mir tat. Nach dem Picknick kamen mir immer und immer wieder ein weitere, sehr zentrale Bine-Sätze in den Sinn: "Du bist sehr okay. So, wie du eigentlich bist. Du bist toll, so wie du bist. Du musst keine Rolle spielen. Mir ist dein Job egal, und was du alles erreicht hast. Ich will eigentlich nur wissen, ob du zum Beispiel für mich durchs Feuer gehen würdest. Ob du schwach sein kannst, und vertrauen kannst."

Meldung

Und es sind genau diese Sätze, nach denen ich unter anderem bis heute lebe. Mein Umfeld änderte ich sehr schnell, was mich zunächst sehr einsam machte. Mit der Einsamkeit kam die Heilung, denn mental fühlte ich mich sehr erleichtert.Ich konnte meine Energie endlich für mich selbst einsetzen, nicht für die Rolle, die ich spielte. Heute stelle ich fest, dass es augenscheinlich an jeder Ecke Narzisst:innen gibt. Und das Zaubermittel ist immer wieder dasselbe, das gegen diese emotionalen Erpresser und Blutsauger wirkt: Grenzen setzen! Ihren Hunger nach Applaus nicht füttern, gehen! So wie es Bine getan hat. Es tut noch immer weh.